Blog

Koblenz Crit Mahler/Mozart/Ibert

EINE WILLKOMMENSUMARMUNG
VOLL STURM UND DRANG

Der erste Eindruck hat keine zweite Chance: Wenige Millisekunden gestehen wir einem uns unbekannten Menschen zu, bevor wir ein Urteil über ihn fällen. Ähnliches gilt für Kollektive: Sekunden entscheiden darüber, ob für ein Orchester und einen neuen Dirigenten eine freudvolle Zusammenarbeit beginnt oder nicht. Genau diese Augenblicke zwischen dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie und dem Schotten Garry Walker fielen 2015 offenbar beglückend aus: Mit überwältigendem Votum erkor sich das in Koblenz residierende Orchester Walker zum Nachfolger Daniel Raiskins als Chefdirigent.

Beim ersten Anrechtskonzert des Musik-Instituts Koblenz ist das Publikum nun – nach einer Interimssaison mit wechselnden Dirigentenhandschriften – Zeuge einer beherzten Willkommensumarmung. Man spürt, sieht, hört: Was auf der Bühne passiert, will den Namen „Partnerschaft“ führen. Wie auch vor zwölf Jahren, beim gleichen Anlass, muss der alten Weisheit gedacht werden: „Neue Besen kehren gut.“ Was aber, wenn der Besen gar kein solcher sein will? Denn nach Reinigen, Ausputzen oder gar nach Aufräumenmüssen klingt dieses erste einer langen Reihe von Konzerten mit Garry Walker inner- und außerhalb von Koblenz überhaupt nicht, eher schallt dem Publikum ein ostentatives Wirgefühl entgegen. Die Rheinische hat ihren Beziehungsstatus offenbar auf „verliebt“ geändert und das hört man. (…)

Dabei gibt der Programmablauf zu einem potenziell prächtigen Finale hin den Verlauf praktischerweise vor – und das Ausschöpfen dieser Möglichkeit gelingt mit Gustav Mahlers erster Sinfonie auch plangemäß. Nicht nur für die damaligen Zeitgenossen der Uraufführung 1889 sprengte der offizielle sinfonische Erstling Mahlers alle Erwartungshaltungen, auch heutige Aufführungen des Fünfzigminüters stellen Anforderungen an Ausführende und Zuhörende, die in der Frage nach einem Spannungsbogen eine Schnittmenge teilen. Diesen Bogen vonseiten der Interpreten aufrechtzuerhalten, ist die wohl größte Kunst – gelingt sie, hat auch das Publikum die Chance gleichzuziehen.

Und diese Punktlandung gelang unter voll gesetzten Segeln und mit Sturm und Drang: Unter Walkers Leitung findet die Rheinische Philharmonie zu beeindruckendem Klangreichtum. Keineswegs nur im finalen Schlussjubel, auch in den vielen sphärischen Streichergeweben zu Beginn, dem gut präparierten Augenzwinkern der Bläser in den parodistischen Passagen und der Energieversammlung in vielen potenziellen Hakelstellen der Sinfonie erzielt diese Leistung zwischen berückend und beglückend (…) hohe Ausschläge auf der Emotionsskala.

Bei Mahler gelingt auch die interpretatorische Profilierung, die zu Beginn hinter dem allbestimmenden Gefühl begeisterter Leichtigkeit zurückzutreten bereit schien: Jacques Iberts „Hommage à Mozart“, ein fluffig-quirliges Auftaktstück, atmet zu viel Adrenalin (…) – was nur der Aufregung des Beginns geschuldet sein kann, denn das hohe Maß an Präzision, das Garry Walker in seinem spielerischen, hier fast tänzerisch-gelenkigen Dirigat vorgibt, ist auch für die Zuschauer nachvollziehbar.

Auch der erste Schwerpunkt des Konzertes, Mozarts „Jupiter“-Sinfonie, ließe Nachfragen zu. (…) Die hineindringende Moll-Welt des tieftragischen Mozart nicht ganz so offenbar zu betonen, eher gepflegt und mit feinen Unterschieden (…) zu phrasieren und auf Proportionen dieser Sinfonie gemessen hinzuweisen – gerade in Vorbereitung auf den formenlösenden Mahler: Auch das könnte natürlich durchaus eine, wenngleich ziemlich zurückhaltende Interpretationsabsicht sein. Und immerhin gelingt schon im Mozart-Schlusssatz ein Zusammentreffen der Fugato-Stimmen zu einem mehrdimensionalen, nicht auf Glanz und Nachdruck versessenen Klangrelief, das Lust macht auf die vielen nächsten Kapitel dieser jungen Beziehung von Dirigent und Orchester, die sich hoffentlich einen Teil des leidenschaftlichen Enthusiasmus des Beginns erhalten kann.

Rhein-Zeitung │ 25. September 2017 │ Claus Ambrosius